„Och Manno!“, mault Risa und lässt sich missmutig zurück ins graue Gras fallen. „Ich hab‘ meine Lichter verloren“

Ich schaue über meine Schulter und hinauf zum Fenster in der Mauer, durch das die ersten Sonnenstrahlen den überwucherten Innenhof erreichen.

„Sie sind ja auch Sternenlichter“, erkläre ich ihr. „Sie verstecken sich bei Tagesanbruch.“

„Warum?“, jammert Risa unzufrieden.

Ich zucke mit den Schultern. „So sind die Dinge. Vielleicht ist es ein Spiel?“

Das Mädchen verschränkt die Arme und tritt das Gras. „Doofes Spiel“

Ich muss schmunzeln. Nachdem sich das letzte Blütenblatt blutrot verfärbt hat, nehme ich meinen Finger davon und setze den Korken auf die Flasche mit der nun farblosen Flüssigkeit. Ich verstaue sie in einer Gürteltasche, während ich durch das Gras zu Risa schlendere.

„Aber weißt du, was das Schöne ist?“

Das Mädchen schaut mich erwartungsvoll an.

„Weißt du, wo die Lichter hingegangen sind?“

Sie schüttelt den Kopf. Ich ziehe ein kleines schwarzes Tuch aus meiner Jackentasche, breite es zwischen den Händen aus und halte es vor das Fenster. Dort wo ich dem Sonnenlicht den Weg versperre, schälen sich drei tanzende Funken aus dem Schatten. Ein breites Lächeln tanzt über Risas Gesicht und sie hält ihnen die Hand hin. Ein Licht schwebt der Geste entgegen und wirbelt um ihre Finger. Als ich das Tuch wieder zusammenfalte und der Schatten von Risas Handfläche weicht, verschwindet auch das Licht. Doch man erkennt am Gesicht des Mädchens, dass die Wärme des unsichtbaren Funkens noch immer ihre Finger umspielt.

Ich stehe auf und widme mich wieder meiner Aufgabe. Zufrieden streift mein Blick über den Innenhof. Das Mauerwerk in fein nuancierten Grautönen, die wild wachsenden Blumen in ihrer Farbpracht in starkem Kontrast, eine Bronzestatue in der Mitte, daneben ein wilder Kirschbaum in Blüte. Fehlt nur noch das Gras, welches vom Schatten grau erscheint, doch dem es tatsächlich gänzlich an Farbe mangelt.

„Hmm“, grüble ich, als ich durch meinen Rucksack wühle und statt der grünen Phiole nur eine weitere farblose Flasche finde. Ich schaue zu Risa herüber, die mit den unsichtbaren Lichtern spielt und erst jetzt fällt mir auf, wie mir aus ihrem Mund 17 ein Halb kleine grüne Zähne entgegen leuchten. Nach einer Weile bemerkt sie, wie ich sie anschaue, wohin ich schaue, und schließt hastig den Mund.

Ich schüttle den Kopf, richte mich auf und denke nach. Ein Blick auf meine Kleidung, Risas Kleidung, dann nachdenklich in die steinerne Vogeltränke vor mir. Als mein Blick meine Reflexion erhascht, werde ich fündig. Vorsichtig beuge ich mich über mein Spiegelbild und fasse vorsichtig mit der Fingerspitze in mein rechtes Auge. Ganz langsam weicht die grüne Farbe aus der Regenbogenhaut und lässt diese unnatürlich farblos zurück. Ein weiteres Mal hole ich das Tuch aus meiner Jackentasche und binde es mir um den Kopf, um das farblose Auge vor dem Licht zu verbergen. Ein paar Stunden werden keinen großen Unterschied machen, doch sicher ist sicher.

Ich betrachte meinen Finger mit dem unverdeckten Auge und die kleine grüne Kugel aus purer Farbe, die auf seiner Spitze balanciert. So hocke ich mich hin und tippe behutsam mit der Farbe auf einen der Grashalme. Dankbar nimmt der farblose Halm das Grün in sich auf und gibt es an seinesgleichen weiter. Ich trete einen Schritt zurück und begleite den Prozess, deute hierhin und dorthin, dass sich das Grün über den gesamten Hof von Halm zu Halm ausbreitet, in Bögen auf entferntere Grasflecken springt und schlussendlich das letzte bisschen Farblosigkeit aus dem Hof verdrängt. Fast. Eine letzte, beabsichtigte Farbleere bleibt in der Kugel zurück, die in den Händen der Bronzestatue des Tempels ruht.

„So“, kündige ich die Vollendung meines Werkes an.

„Und jetzt?“, fragt Risa und springt auf die Füße.

„Jetzt“, erwidere ich und zerre den Rucksack zu. „Ernten wir einen Sonnenaufgang.“


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